Es gab deshalb wenig politische, dafür viele technische Kompetenzreferate und -panels. Die Republik, die neben Impressum, syndicom und SSM auch einen Tisch reserviert hatte, blieb der Veranstaltung sogar völlig fern. Das mit Abstand beste Referat hielt Simona Boscardin (SRF & Co-Präsidentin Junge Journalist:innen Schweiz JJS), die aufzeigte, was Millenials und Zoomers im Journalismus brauchen: Anständigen Lohn, gute Arbeitsbedingungen, ein angenehmes Arbeitsklima, keinen Sexismus, mehr unterschiedliche Biographien in den Medien und bezahlte Überstunden. Zudem wollen sie ernst genommen werden, gerade in ihrer Unterschiedlichkeit und in ihrer völlig anderen Generationserfahrung denn die von den Boomer.
Kurt Pelda sorgte als Einziger am #JourTag22 für Spannung. Er plädierte für mehr Wirklichkeit im Journalismus, sprich vor Ort sein statt eigenes „Sofaexpertentum“ zuhause zu feiern. Er erzählte auch, weshalb er vom Tagesanzeiger zur Weltwoche und von dort, seit dem Ausbruch des Ukraine-Krieges und seinen Reportagen von dort in die CH-Media. Das Abschlusspanel enttäuschte: Drei Tamedia-Frauen waren anwesend und gaben auf die Sexismus-Frage aus dem Publikum nur ausweichende Antworten.
Vinzenz Wyss war nicht mehr Organisator der Veranstaltung, was sich schmerzlich zeigte. Die Studierenden der ZHAW waren nicht mehr präsent, sie hätten Eintritt zahlen müssen, was angesichts der prekären Löhne in der Medienbranche für Viele nicht zu stemmen ist. Apropos Löhne: Die sind immer noch 500 Franken pro Tag für Freie – seit über zwanzig Jahren gibt es hier in vielen Unternehmen keine Änderung, was deprimiert. Der JourTag22 war versöhnlich, nett, auf Weiterbildung – viele junge Frauen waren anwesend, was zeigt, dass sich die Branche verweiblicht. Angesichts der historischen Erfahrung, dass mehr Frauen in ehemals klassischen Männerberufen weniger Einfluss und Lohn bedeuten, stimmt dies nicht nur froh. Gewerkschaften waren Vertreter:innen vom Impressum, syndicom (mit den meisten „Goodies“) und eben SSM anwesend. Der #JourTag22 wurde laut Eigenangaben von rund 110 Leuten tagsüber besucht, der persönliche Eindruck war, viel weniger Leute und weniger Panels, weniger Promis, weniger Diskussionen, weniger Medienzukunft als noch vor der Pandemie im Jahre 2019. Die Workshops waren gut besucht, ich war in zweien und konstatierte einmal mehr: Es geht um Vermittlung des Handwerks, nicht um Zukunftsentwürfe der Branche.
Was völlig fehlte, waren die noch 2019 ausgestandenen Kontroversen rund um Finanzierung, Werbegelder, gesponsorten Inhalten, Unabhängigkeit und Freiheit der Redaktionen, die Medienkonzentration, die Rolle der SRG und, was besonders störend war: Die Digitalisierung und ihre Auswirkungen auf die Qualität des Journalismus, fehlte völlig. Es zeigt sich einmal mehr: Wir brauchen mehr unabhängige Forschung und Medienkritik in der Schweiz.