Ein Rückblick, ein Ausblick – das SSM fordert nun klare Regeln im Gesamtarbeitsvertrag
Ein Rückblick: Mehrere Monate lang hatte ein Team der Zeitung „Le Temps“ recherchiert, am 31. Oktober 2020 liess es die Bombe platzen: in einem ausführlichen Artikel berichtete es über mehrere schwerwiegende Fälle von sexueller Belästigung sowie Mobbing beim Westschweizer Radio und Fernsehen RTS. Die Zeitspanne der Übergriffe reicht von 2005 bis heute. Die Vorwürfe betreffen auch den Star-Moderator Darius Rochebin, der diesen Sommer zu einem französischen Sender wechselte, und zwei Vorgesetzte, die bis vor kurzem ihrer Arbeit bei RTS nachgingen. Der Fall des Vorgesetzten, der im Artikel von „Le Temps“ „Robert“ genannt wird, war unseren Kolleginnen und Kollegen von der Westschweizer Sektion des SSM bekannt. Vor einigen Jahren schon intervenierten sie bei den Verantwortlichen von RTS, weil sie Kenntnis von sexuellen Übergriffen und gezieltem Mobbing hatten, sie stiessen aber auf taube Ohren.
Die schockierenden Enthüllungen bei RTS machten ein Versagen der Hierarchie deutlich und legen eine Kultur des Wegschauens und der Angst offen. Vorgesetzte gingen gemeldeten Fällen von sexueller Belästigung und Mobbing entweder nicht oder nur ungenügend nach. Dies führte wiederum dazu, dass viele Betroffene es vorzogen zu schweigen, denn Konsequenzen mussten die Verursacher von Belästigung ganz offensichtlich keine befürchten. Wie im Fall „Robert“ konnte es sogar passieren, dass übergriffige Vorgesetzte nach oben befördert wurden. Viele Betroffene schwiegen aber auch, weil sie Angst vor einer Entlassung hatten. Das SSM begrüsst es umso mehr, dass sich viele betroffene RTS-Mitarbeitende öffentlich äusserten und damit die langjährige Mauer des Schweigens niederrissen.
Kampf gegen sexuelle Belästigung und Mobbing am Arbeitsplatz
Die Westschweizer SSM Gruppen sind seit 3 Wochen pausenlos im Einsatz. Als erstes forderten sie eine unabhängige Untersuchung der Vorfälle durch eine externe Stelle sowie eine vorläufige Suspendierung der beiden involvierten Kader während der Dauer der Untersuchung. RTS hat diesen Forderungen stattgegeben. Des Weiteren rief das SSM die gesamte Belegschaft auf, Fälle von sexueller und psychischer Belästigung und Mobbing bei einem dem SSM bekannten externen Genfer Anwaltskollektiv zu melden, das auf Fälle von sexueller Belästigung und Mobbing spezialisiert ist. Vertraulichkeit ist dabei garantiert! Bis heute haben sich beim Anwaltskollektiv über 100 Betroffene gemeldet.
Auf die ganze SRG ausweiten …
Das Thema der sexuellen Belästigung und Mobbing am Arbeitsplatz betrifft jedoch nicht nur RTS, sondern die gesamte SRG. Die Tessiner SSM Gruppe hat nach einem Aufruf ebenfalls innert kürzester Zeit 30 Meldungen erhalten. Das SSM selber fordert seit Jahren einen besseren, SRG-weiten Schutz für Opfer von sexuellen Übergriffen und Mobbing. Die aktuellen Instrumente sind ganz offensichtlich ungenügend. Das SSM ist daher nun auch in der Deutschschweiz und der rätoromanischen Schweiz vorstellig geworden, um das aktuelle Dispositiv zu überprüfen. Wir werden dafür besorgt sein, dass eine vertrauenswürdige Anlaufstelle benannt wird. Treffen und Diskussionen dazu stehen an. Bei der Untersuchung und Ausgestaltung dieser Prozesse ist das SSM als Sozialpartner paritätisch zu involvieren, wie dies bei RTS bereits geschehen ist und aktuell auf SRG-Ebene anläuft. Während bei RTS drei verschiedenen Untersuchungen lanciert wurden, wird auf der Ebene SRG eine Untersuchung angestossen, welche von einer externen Stelle alle Prozesse und Regelwerke der SRG untersuchen lässt und Veränderungsprozesse auslösen soll. Diese Untersuchung wurde vom Verwaltungsrat SRG initiiert. Das SSM ist in allen Prozessen paritätisch involviert.
… und in die GAV-Verhandlungen einbringen
Das Thema «Schutz der Persönlichkeit» wurde noch vor den Ereignissen bei RTS vom SSM in die aktuell laufenden GAV-Verhandlungen eingebracht. Diese Forderung hat das SSM an den letzten GAV-Verhandlungen konkretisiert und es scheint nun beiden Seiten klar zu sein, dass es ein paritätisches Reglement braucht, welches griffige Richtlinien, klare Verantwortlichkeiten sowie vertrauenswürdige und unabhängige Anlaufstellen definiert.
Die Verhandlungsdelegation des SSM hat anlässlich der GAV-Verhandlungen weiter seinen Ärger über die vorherrschende Führungskultur innerhalb der SRG bekundet. Das SSM hat trotz unterschiedlichster Versuche, die Probleme offen und tabulos anzusprechen, sei dies am Verhandlungstisch über den GAV oder in anderen Verhandlungssituationen, nie das Gefühl verloren, bei der SRG-Delegation auf taube Ohren zu stossen. Unser Eindruck verfestigte sich sogar, dass unsere Probleme und Anliegen von den SRG-Spitzen nicht wirklich ernst genommen wurden. Das SSM ist jedoch zuversichtlich, dass die Entscheidungsträger der SRG nach der gestrigen Verhandlungsrunde erkannt haben, dass die Zeit gekommen ist, vermehrt den Mitarbeitenden und der Personalvertretung zuzuhören. Wenn Probleme offen angesprochen werden, kann dies nicht mehr einfach als «Stänkertum» abgetan werden, wie dies in der Vergangenheit oftmals der Fall war.
Es braucht nun Taten statt Worte
An einen Übergang zur Tagesordnung ist auch drei Wochen nach den Enthüllungen in «le Temps» in keinerlei Hinsicht zu denken. Das Vertrauen des SRG-Personals in die Führung ist erschüttert. Auch das SSM stellt sich hinsichtlich der Firmenkultur einige Fragen, die es schnellstmöglich zu klären gilt. Viele Mitarbeitende empfinden die SRG-Führung als abgehoben und stur. Einwände und Vorschläge von der Basis werden wenig bis nicht ernst genommen. Was bei RTS zu Tage gekommen ist, ist das Ergebnis eines durch Hierarchie- und Autoritätsgläubigkeit geprägten Führungsverständnisses. Die SRG-Führung ist nun gefordert. Sie muss sich wieder das Vertrauen der Mitarbeitenden erarbeiten und diesem wieder auf Augenhöhe begegnen. Kurz gesagt: so wie bis anhin kann es nicht weitergehen. Es braucht einen profunden Wandel und auf Worten müssen Taten folgen.
Mit Betroffenheit richtig umgehen
Es gibt auf allen Ebenen Handlungs- und Verbesserungsbedarf: Das SSM ist dabei mit sämtlichen Unternehmenseinheiten Prozesse zu definieren, um mit Meldungen von Mitarbeitenden diskret, anonym und zielführend umzugehen. Wir werden darüber zeitnah informieren.
Selbstverständlich ist bei Anliegen das SSM jederzeit für euch da.